sightseeing mal anders 

bei den hafenrundfahrten der open school dreht sich alles um mobilität, klimaschutz und nachhaltige Stadtentwicklung

sightsseing mal anders Foto: Kathrin Harms

Daniel Kwame Manwire bietet für die Open School 21 Rundfahrten durch den Hamburger Hafen an. Statt Seemannsgarn zu spinnen,erklärt er Schulklassen anhand realer Beispiele, warum eine Energiewende alternativlos ist.

Als er von dem Störfall erzählt, von der Beinahe-Katastrophe, hat er plötzlich die ungeteilte Aufmerksamkeit der 18 Schülerinnen und Schüler, die zuvor ein bisschen müde in die Sonne blinzelten und die Bootstour durch den Hamburger Hafen genossen. 

Daniel Kwame Manwire erzählt von den 8,9 Tonnen radioaktivem Uranhexaflourid, die das brennende Schiff geladen hatte. „Wäre das Uranhexaflourid mit Wasser in Berührung gekommen, wäre es explodiert“, sagt er. 15 Stunden hatte es auf dem Frachter im Hamburger Hafen gebrannt, zum Glück nicht in der Nähe der Container. 

Hamburg ist an diesem 1. Mai 2013 nur knapp an einer atomaren Katastrophe vorbeigeschrammt. Die Schülerinnen und Schüler schütteln ungläubig mit dem Kopf. Gerade schippern sie an der Kaimauer entlang, an der das Frachtschiff damals lag. Mit dem Blick auf die dahinterliegenden Hafenanlagen wird ihnen noch mal bewusster, was sie zwar schon wissen, was in der Erzählung über Atomenergie aber oft unerwähnt bleibt: die Zerstörungskraft und die unmittelbare Gefahr, die von ihr ausgeht. „Das Atomversprechen ist zuckersüß“, sagt Manwire. „Aber es ist Quatsch. Atomkraftwerke liefern zwar emissionsfreie Energie, der Uranabbau ist dafür umweltkatastrophal, es gibt keine Endlagerlösung und die Gefahr einer Atomkatastrophe wird einfach ausgeblendet. 

 

,,Mich irritiert es immer, wenn Atomkraftwerke wieder als Lösung unserer Energieprobleme aufs Tableau gebracht werden.“

Die Jugendlichen nicken zustimmend. Daniel Kwame Manwire, 52 Jahre alt, rotes Hemd,  graue Sneaker, auf dem Kopf eine Schiebermütze, unterder erste graue Locken hervorlugen, kennt viele dieser Geschichten aus dem Hamburger Hafen. Er ist im Auftrag der Open School 21 unterwegs und bietet die „Energiepolitische Hafenrundfahrt“ als außerschulische Lernerfahrung an. Die 18 angehenden Abiturientinnen und Abiturienten des Corvey-Gymnasiums in Hamburg-Lokstedt belegen den Schwerpunkt Politik und bereiten sich auf das Abiturthema Wirtschaft und Nachhaltigkeit vor. 

Die Open School bietet unter dem Motto „Raus aus der Schule — rein in die Stadt“ verschiedene Rundgänge, Rallyes und Barkassenfahrten an, um Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler Themen wie Mobilität, Klimaschutz oder nachhaltige Stadtentwicklung nahezubringen und das Verständnis von globaler Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung zu fördern. Manwire, der Biologie und soziale Arbeit studiert hat, war schon 1993 auf seiner ersten

Anti-Atom-Demo und ist bis heute im Hamburger Anti-Atombüro aktiv aus diesem Engagement entstand 2005 die Idee für die Energiepolitische Hafenrundfahrt“. Um die gerade gewonnene Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu nutzen, präsentiert Daniel Kwame Manwire an Bord der Barkasse schnell weitere interessante Fakten: dass der Hamburger Hafen trotz eines freiwilligen Verzichts auf den Umschlag von Kernbrennstoffen weiterhin der größte Umschlagplatz für Uran ist.

Dass im Hamburger Hafen außerdem die größte Agrosprit-Anlage Europas steht, in der riesige Mengen landwirtschaftlicher Produkte für den Antrieb von Autos verwertet werden statt zur Herstellung von Nahrungsmitteln. Dass sich zwischen den Hafenkränen auf einer Fläche von 350.000 Quadratmetern – ungefähr doppelt so groß wie die Hamburger Binnenalster – Deutschlands größter Kohlehafen verbirgt, wo innerhalb von 24 Stunden 110.000 Tonnen Kohle und Erz gelöscht werden können. Und das, obwohl das ehemalige Kohlekraftwerk Moorburg, das in der Ferne zu sehen ist, seit zwei Jahren stillgelegt ist und nun – nach nur sechs Jahren Laufzeit und einem Ausstoß von rund 50 Millionen Tonnen Co2 – zu einem Elektrolyseur für grünen Wasserstoff umgebaut werden soll. 

Text: Bastian Henrichs, KOMBÜSE

sightsseing mal anders Copyright Kathrin Harms
sightsseing mal anders Copyright Kathrin Harms

„Nehmt diese Verantwortung wahr.“

Es sind viele Geschichten, Anekdoten und Fakten, die die Jugendlichen in den anderthalb Stunden verarbeiten sollen. Doch es geht bei dieser besonderen Lerneinheit gar nicht darum, alles zu behalten. Es geht darum zu verstehen. Verstehen, dass der menschliche Energiehunger Auswirkungen hat: auf die Umwelt, auf das Klima, auf andere Menschen vornehmlich im globalen Süden. Zu verstehen, dass es einer Transformation der Energiewirtschaft bedarf, um den großen Herausforderungen des Klimawandels und der Klimagerechtigkeit zu begegnen. „Mit unserer Bildungsarbeit möchten wir das Verständnis von globaler Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung fördern“, sagt Michaela Görtzen von der Open School 21. „Dabei haben wir den Anspruch, in anschaulicher Weise und mit aktiven Methoden Verknüpfungen zwischen lokalen und globalen BNE-Themen zu vermitteln.“

Die Schülerinnen und Schüler des Corvey-Gymnasiums bedanken sich zum Abschied. Angeregt plaudernd gehen sie von Bord. Daniel Kwame Manwire, im Herzen Aktivist, nutzt ein letztes Mal ihre Aufmerksamkeit für einen optimistischen Appell: „Ihr könnt euch einbringen, ihr könnt die Veränderung mitgestalten“, sagt er. „Nehmt diese Verantwortung wahr.“

 

Open School 21 gUG

www.openschool21.de

info@openschool21.de

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), außerschulische Lernerfahrung, Hamburg, Energiepolitik

Bild mittig, Copyright Kathrin Harms