Idyll der Vielfalt
Hof MEdewege: nachhaltige landwirtschaft zum Anfassen

Weit mehr als ein Bauernhof: Auf Hof Medewege am Schweriner See wird Landwirtschaft nach Demeter-Prinzipien betrieben, es gibt ein Café, eine Bäckerei und einen Hofladen, aber auch Ateliers, einen Kindergarten und Ferienwohnungen. Ein Gewinn für Mensch und Natur, hinter dem viel Engagement steckt.
Handys weg, es geht los!“, ruft die Lehrerin einem guten Dutzend Schülerinnen und Schülern zu, die am Rand des Kopfsteinpflasterwegs schnell noch in sozialen Netzwerken von ihrem Ausflug posten. Die 12- bis 13-Jährigen folgen Nicolai Jahn, Demeter-Landwirt in zweiter Generation auf Hof Medewege am Schweriner See, über den geschwungenen Weg an einem historischen Gutshaus vorbei zu den Stallungen.
„Ich will nicht in den Kuhstall, dann stinken meine Haare!“
entfährt es einer Schülerin, doch ihre Sorge erweist sich als unbegründet: In den offenen Ställen liegen einige Kälber auf losem Stroh, die 70 Kühe grasen auf der Weide. Wenn sie zum Stall kommen, dürfen zunächst ihre Kälbchen von der Muttermilch trinken, erst dann werden sie gemolken. Auch die Schüler dürfen von der Rohmilch kosten. Zunächst etwas zögerlich, stellt einer der Jungen nach dem ersten Schluck fest: „Die ist voll lecker!“ Andere stimmen zu und nehmen gern noch etwas mehr von dem warmen süßen Getränk.
„Ab Frühjahr weiden die Kühe draußen, im Winter fressen sie Heu, Stroh und Silage“, erklärt Nicolai Jahn und reicht das konservierte Grünfutter herum. Die Kinder greifen danach, zerreiben das würzige Ferment mit den Fingern und riechen daran. Wer kein Tuch zur Hand hat, wischt die Hände anschließend verlegen an den Hosenbeinen ab.


Am Freilaufwagen für die Hühner lauschen sie mit großen Augen Jahns Geschichten von den Gefahren, die den Tieren im Freien drohen, dem Habicht und dem Fuchs. Bei Gefahr alarmieren die Hähne durch Krähen und Flügelschlagen die Hennen, die daraufhin schnellst möglich in den Stall rennen. „Als Demeter-Landwirte halten wir unsere Hühner in mobilen Ställen, um konstant einen grünen Auslauf mit frischem Gras zu bieten“, sagt Nicolai Jahn.
Text: Ursula Meer

In einem weiten Bogen führt der Weg einen sanften Hügel hinab. Rechts die Kuhweide, links Obstplantagen und eine Streuobstwiese. Infotafeln beschreiben den zahlreichen Hofbesuchern – neben Schülern auch Tages- oder Feriengästen – Herkunft und Nutzen alter Obstsorten. Bienen, deren Kästen verstreut auf den Feldern stehen, summen um den „Finkenwerder Herbstprinz“ und finden an spät blühenden Büschen und Blühstreifen selbst an diesem spätsommerlichen Septembertag noch Nektar und Blüten zum Bestäuben.
Auf Umwelt- und Naturschutz Nicolai Jahns Erläuterung, dass es ohne sie kein Obst gebe, folgt ein spontaner Applaus für die fleißigen Tiere. Hinter diesem wie zufällig gewachsen wirkenden, artenreichen Idyll aus Wiesen und Feldern mit langen Reihen voller Grünkohl und Kohlrabi, Salaten und Kräutern steckt eine lange Geschichte. Während die Schülergruppe weiterzieht, berichtet Peter Zimmer, Medeweger Urgestein und Vorstand des Medeweger Hof-Kultur e. V.: „Wir kamen 1991 hierher, direkt nach der Wende. Damals gab es hier keinen landwirtschaftlichen Betrieb mehr, die LPG war aufgelöst.“
Der Waldorfverein wollte eine Handlungspädagogische Schule mit einem Demeter-Betrieb gründen. Doch an den Gebäuden hatte der Zahn der materialarmen Planwirtschaft genagt, riesige, monotone Ackerflächen lagen brach. Getragen von der Idee der Waldorfschule wagte eine Handvoll Menschen mit Tatendrang und einer alternativen Grundhaltung den Schritt zu einer biodynamischen „Landwirtschaft plus“, wie Zimmer sie bezeichnet: mit Kindergarten, Filzwerkstatt, Korbflechterei oder auch Imkerei. Zehn Jahre sollte es dauern, bis endgültig entschieden war, dass auf dem alten Gut keine Waldorfschule gegründet werden würde.

In dieser Zeit war die Gemeinschaft gewachsen und der Hof zu einem kleinen Dorf geworden, in dem jedes Gewerk seinen Platz fand.
Heute ist Hof Medewege eine offene Handelsgesellschaft mit eigenständigen Betrieben, wie Obstbau, Gärtnerei und Hofkiste, die ihre Produkte zur Vermeidung langer Transportwege regional vermarkten. Das Zusammenleben der etwa 80 Bewohner prägt trotz der wirtschaftlichen Eigenständigkeit ein Gemeinschaftsgedanke, um den sich auch der Verein Medeweger Hof-Kultur kümmert – mit Versammlungen, Veranstaltungen und Projekten zum Erhalt der Artenvielfalt. Manche davon sind nicht ohne finanzielle Unterstützung zu stemmen, etwa ein Kinderbauernhof, die Beschilderung der Streuobstwiesen oder der Erhalt eines alten Redders. Das ist eine bunte, übermannshohe Doppelhecke aus 31 verschiedenen Gehölzen wie Rose, Buche und Liguster, aber auch Schlehen, Sanddorn und Brombeeren, die geerntet und verarbeitet werden. Das ganze Jahr über schützt und ernährt der Redder Feldlerche, Gimpel und 14 andere teils bedrohte Brutvogelarten und ist Lebensraum für zahllose Insekten: das Ergebnis einer behutsamen und naturnahen, aber auch arbeitsintensiven Pflege anstelle des oft üblichen Auf-den-Stock-Setzens.
Mittags toben die Kinder im Schatten riesiger Bäume auf einer Wiese unterhalb des historischen Gutshauses, ehe sie am Lagerfeuer Stockbrot aus selbst geknetetem Teig backen.
Was sie am spannendsten fanden an diesem Tag? „Die Trecker! Letztes Jahr beim Fest hier auf dem Hof bin ich auch auf einem gefahren!“, ruft einer der Jungs, „ich fand die riesigen Gewächshäuser toll“, ein anderer. Ein Mädchen zieht vorsichtig die erste Kruste von einem weichen Teigstück. „Der Geruch von frischem Brot in der Bäckerei war am schönsten“, schwärmt sie und ergänzt: „vor allem, dass ich mal direkt gesehen habe, wie es gemacht wird.“
Riechen, fühlen, schmecken und sehen: Mit allen Sinnen haben die Schüler biodynamische Landwirtschaft als Basis für gesunde und umweltschonende Lebensmittel erlebt. „Und die gibt es sogar bei uns unten an der Ecke im Supermarkt“, berichtet eine Schülerin. „Jetzt kann ich meinen Eltern erzählen, woher sie kommen und wie sie gemacht werden!“ Ursula Meer
Medeweger Hof-Kultur e. V.
Regional, ökologisch, Landwirtschaft
Foto mittig: Ursula Meer